Edgar Allan Poe

Die tausendundzweite Erzählung der Scheherazade
Wahrheit ist seltsamer als Dichtung 
(Alte Redensart) 

Jüngst geriet mir, bei zufälligem Studium der orientalischen Literatur, ein bemerkenswertes Buch in die Hand, das ›Sagmirnun Istssoodernicht‹, das nach meinem Wissen noch nie zitiert wurde und überhaupt ziemlich unbekannt ist. Kaum hatte ich einige Seiten in dem merkwürdigen Werke gelesen, da mußte ich mit Erstaunen erkennen, daß die literarische Welt über das Schicksal der Scheherazade bis jetzt in einem Irrtum befangen gewesen. Denn die Erzählung, die uns ›Tausend und eine Nacht‹ gibt, ist, wenn nicht direkt falsch, soweit sie überhaupt geht, doch keinesfalls so vollständig, wie es wünschenswert wäre.

Will sich nun jemand über diesen interessanten Punkt genau unterrichten, so verweise Ich ihn hiermit auf ›Istssoodernicht‹ und gestatte mir mittlerweile einen allgemeinen Umriß meiner Entdeckung zu geben.

Die bekannte Lesart der Geschichten lautet, wie jeder weiß, daß ein gewisser Monarch, der alle Ursache hatte, auf seine Frau Königin eifersüchtig zu sein, dieselbe nicht nur erdrosseln ließ, sondern auch bei seinem Barte und dem Propheten schwor, jede Nacht das schönste Mädchen seines Reiches zur Gattin zu nehmen und am folgenden Morgen in die Hände des Henkers zu geben.

Nachdem er nun viele Jahre hindurch dies Gelübde buchstäblich und mit einer fast ritualen Pünktlichkeit erfüllt hatte, die seine Gottseligkeit in hellstem Lichte zeigte, wurde er eines schönen Nachmittags (wahrscheinlich im Gebete) durch den Besuch seines Großvesiers abberufen, dessen Tochter einen allem Anschein nach guten Gedanken gefaßt hatte.

Ihr Name war Scheherazade und ihr Gedanke der: entweder das Land von jener entvölkernden Schönheitssteuer zu befreien oder wie eine Heldin bei dem Versuche unterzugehen. Sie überredete also den Vater, den Großvesier, dem Könige ihre Hand anzubieten, obwohl das Jahr kein Schaltjahr war und somit die Möglichkeit nicht bestand, daß sich der Monarch vor der Erfüllung seines Gelübdes einmal ›drückte‹. Derselbe hatte im übrigen nichts Eiligeres zu tun, als diese Hand anzunehmen, denn es war schon längst seine Absicht gewesen, sich schließlich auch Fräulein Scheherazade zu verschaffen; und nur die Furcht vor dem Großvesier hatte ihn bis jetzt davon zurückgehalten. Doch erklärte er in nicht mißzuverstehender Weise, daß, Großvesier oder nicht Großvesier, niemand ein Recht habe zu hoffen, er würde sich auch nur ein Jota an seinem Gelübde oder seinen Privilegien schmälern lassen. Als desungeachtet die schöne Scheherazade darauf bestand, des Königs Gattin zu werden, und es auch wirklich wurde, trotz des guten, warnenden Rates ihres Vaters – ich sage, als sie desungeachtet den König heiraten wollte und auch heiratete, hatte sie ihre schönen schwarzen Augen wohl so weit offen, wie es überhaupt möglich war.

Es war nicht anders möglich, es mußte diese diplomatische Dame (ohne Zweifel hatte sie Macchiavelli gelesen) irgendeinen kleinen schlauen Plan im Sinne haben. In der Hochzeitnacht machte sie es durch einen, ich vergaß welchen, Vorwand möglich, daß ihre Schwester so nahe bei dem königlichen Paare ihr Lager aufschlug, daß man sich mit Leichtigkeit von Bett zu Bett unterhalten konnte; und ein wenig vor dem ersten Hahnenschrei richtete sie es so ein, daß sie den guten Monarchen, ihren Gatten (der nicht das geringste Böse gegen sie im Sinne hatte, wenn er ihr auch am folgenden Morgen den Hals umdrehen lassen wollte) weckte, obwohl er (und zwar infolge seines guten Gewissens und seiner ausgezeichneten Verdauung) in festem Schlummer lag, und sein tiefstes Interesse durch eine Geschichte (ich glaube, sie handelte von einer Ratte und einer schwarzen Katze) wach hielt, welche sie (in leisem Flüstertone, glaube ich) ihrer Schwester erzählte. Als der Tag anbrach, war die Geschichte noch nicht beendet, und Scheherazade konnte sie auch nicht vollenden, weil es die höchste Zeit für sie war, aufzustehen und sich erdrosseln zu lassen – eine Prozedur, die nur wenig amüsanter und nur eine Kleinigkeit hübscher ist, als an den Galgen gehangen zu werden.

Des Königs Neugierde jedoch, die, wie ich mit Bedauern feststellen muß, selbst seine religiösen Prinzipien überwog, veranlaßte ihn, die Erfüllung seines Gelübdes für dies eine Mal auf den nächsten Morgen zu verschieben: zu dem Zweck und mit der Hoffnung, in der folgenden Nacht zu erfahren, wie die Sache mit der schwarzen Katze (ich glaube sicher, es war eine schwarze Katze) und der Ratte auslief.

In der nächsten Nacht jedoch machte Fräulein oder vielmehr jetzt Frau Scheherazade nicht nur den Punkt hinter die Geschichte der schwarzen Katze und der Ratte (die Ratte war blau), sondern verwickelte sich, ehe sie selbst recht wußte, tief in die Verworrenheiten der Geschichte von einem rosa Pferde (mit grünen Flügeln), das ein Uhrwerk im Leibe hatte und mit einem (indigofarbenen) Schlüssel aufgezogen wurde. Und diese Geschichte interessierte den König fast noch mehr als die vorherige; doch als der Tag anbrach, ehe sie beendet war (obwohl sich die Frau Scheherazade alle Mühe gab, um nur ja zeitig zum Erdrosseln zu kommen) blieb wieder nichts übrig, als diese nette Zeremonie nochmals vierundzwanzig Stunden hinauszuschieben. In der nächsten Nacht ereignete sich dasselbe mit demselben Erfolge – und in der nächsten und übernächsten wieder, so daß der gute Monarch, während einer Periode von nicht weniger als tausendundeiner Nacht jeder Möglichkeit, sein Gelübde zu erfüllen, beraubt, dasselbe im Laufe der Zeit überhaupt vergessen hatte oder sich davon absolvierte, oder (was wahrscheinlicher ist) dasselbe einfach brach nebst dem Halse seines Beichtvaters. Jedenfalls siegte Scheherazade, die in gerader Linie von Eva abstammte und von ihr die sieben Körbe voll Geschwätz, die diese letztere Dame, wie wir alle wissen, unter den Bäumen in Eden aufgesammelt hat, geerbt zu haben schien: Die Schönheitsteuer war aufgehoben!

Dieser Schluß (den uns die bekannte Lesart der Geschichte mitteilt) ist ohne Zweifel außerordentlich vergnüglich und erheiternd, doch ist es, wie so viele vergnügliche Dinge, vergnüglicher als wahr; und ich bin dem ›Istssoodernicht‹ zu tiefstem Dank verbunden, daß er den Irrtum berichtigt hat. ›Das Bessere‹, sagt das Sprichwort, ›ist der Feind des Guten‹, und als ich erwähnte, das Scheherazade die sieben Körbe Geschwätz geerbt, hätte ich hinzufügen müssen, daß sie dieselben auf Zinseszins ausgeliehen, bis es siebenundsiebzig geworden waren.

»Meine liebe Schwester«, sagte sie in der tausendundzweiten Nacht (ich zitiere hier wörtlich aus dem ›Istssoodernicht‹), »meine liebe Schwester, jetzt, da ich der kleinen Unannehmlichkeit des Erdrosselns glücklich ausgewichen und die lästige Schönheitsteuer beseitigt habe, fühle ich mich plötzlich einer großen Pflichtversäumnis schuldig, weil ich dich und den König (der, wie ich mit Bedauern konstatieren muß, schnarcht, was einem wirklichen Gentleman nie passieren könnte) über den Ausgang der Geschichte Sindbads des Seefahrers im unklaren gelassen habe. Dieser Mann hatte nämlich noch zahlreichere und noch interessantere Abenteuer hinter sich, als die schon erzählten; aber weil ich in der Nacht, da ich von ihm sprach, plötzlich schläfrig wurde, ließ ich mich verführen, dieselben abzukürzen – ein sehr betrübliches Betragen, das mir, wie ich hoffe, Allah verzeihen wird. Doch ist es noch nicht zu spät, diese grobe Nachlässigkeit wieder gutzumachen, und wenn ich dem Könige ein oder zwei Püffe verabreicht habe, damit er endlich aufhört, das scheußliche Geräusch zu vollführen, werde ich dich (und wenn er es wünscht, auch ihn) mit der Fortsetzung jener merkwürdigen Geschichte unterhalten.«

Die Schwester der Scheherazade nahm, dem ›Ists-soodernicht‹ zufolge, dies Anerbieten mit nicht besonders stürmischem Danke entgegen; doch der König, der genügend gepufft worden war, hörte endlich zu schnarchen auf und sagte schließlich ›Hum!‹ und dann ›hoho!‹, und die Königin entnahm aus diesen Worten (ohne Zweifel sind es arabische), daß er ganz Ohr sei und sein Bestes tun wolle, um nicht mehr zu schnarchen. Als sie also auf diese Weise alles zur Zufriedenheit arrangiert hatte, begann sie mit der Fortsetzung der Geschichte von Sindbad dem Seefahrer:

»Doch noch einmal in meinem Alter (dies sind die Worte Sindbads selbst, wie sie Scheherazade erzählte), noch einmal in meinem Alter, nachdem ich viele Jahre der häuslichen Ruhe genossen, ergriff mich der Wunsch, fremde Länder zu sehen, und eines Tages packte ich, ohne meine Familie mit meiner Absicht bekannt zu machen, einige Ballen höchst kostbarer und wenig umfangreicher Ware zusammen, mietete einen Lastträger, ging mit ihm an die Küste und wartete, bis ein Schiff käme, das mich aus unserem Königreiche in ein Land bringen sollte, das ich noch nie gesehen.

Als wir die Ballen in den Sand gelegt hatten, setzten wir uns unter einen Baum und sahen, in der Hoffnung, ein Schiff zu erblicken, auf den Ozean hinaus; doch ein paar Stunden lang bemerkten wir nichts! Da schien es mir plötzlich, als höre ich ein Sonderbares, summendes, surrendes Geräusch, und auch der Lastträger, nachdem er ein wenig hingelauscht hatte, erklärte, es deutlich zu vernehmen. Es wurde immer stärker und stärker, so daß wir nicht im Zweifel sein konnten, er nähere sich uns. Endlich bemerkten wir am Ende des Horizonts einen schwarzen Flecken, der stetig an Größe zunahm und uns bald erkennen ließ, daß es ein riesiges Ungeheuer sei, dessen schwimmender Körper sich zu einem großen Teile über die Oberfläche des Meeres erhob. Es näherte sich uns mit unbegreiflicher Schnelligkeit, ließ riesige Schaumwogen an seiner Brust aufbranden und erleuchtete das Meer durch einen langen, feurigen Streifen, der sich in unabsehbarer Ferne verlor.

Wir konnten es jetzt schon ganz deutlich erkennen. Seine Länge war dreimal so groß wie die der höchsten Bäume auf Erden; und seine Breite – nun, ungefähr wie die der großen Audienzhalle in deinem Palaste, erhabenster, großmächtigster Kalif. Sein Rumpf, ungleich dem anderer Fische, war hart wie ein Fels und, soweit er sich über die Wellen erhob, ganz von tiefstem Schwarz mit Ausnahme eines schmalen blutroten Streifens, der ihn rings umgürtete. Der Rand, der sich unter der Oberfläche des Meeres befand und den wir dann und wann, wenn das Ungeheuer mit den Wellen stieg und sank, erblicken konnten, war ganz mit metallischen Schuppen bedeckt, die die Farbe des Mondes trugen, wenn er durch Nebel scheint. Der Rücken war flach und fast weiß, und sechs Stacheln gingen von ihm aus und waren halb so lang wie der Körper.

Einen Mund konnten wir an dem schrecklichen Geschöpfe nicht entdecken, doch hatte es dafür wenigstens achtzig Augen, die, wie bei der grünen Wasserjungfer, aus ihren Höhlen hervortraten und in zwei Reihen, dem blutroten Streifen parallel, der die Stelle der Augenbrauen zu vertreten schien, über den Körper verteilt waren. Zwei oder drei dieser schrecklichen Augen waren viel größer als die übrigen und sahen aus wie reines Gold.

Das Tier näherte sich uns mit der größten Geschwindigkeit und wie durch Zauberei, denn es hatte weder Flossen wie ein Fisch, noch Schwimmfüße wie eine Ente, noch schnellte es sich vorwärts, wie die Aale tun. Sein Kopf und sein Schwanz waren genau gleich gestaltet, nur befanden sich in der Nähe des ersteren zwei kleine Höhlen, die als Nasenlöcher dienten und durch die das Ungetüm seinen dicken Atem mit erstaunlicher Kraft und einem unangenehmen, pfeifenden Geräusch ausstieß.

Der Anblick dieses scheußlichen Wesens verursachte uns einen großen Schrecken, und doch wurde er noch durch unser Erstaunen übertroffen, als wir genauer hinsahen und bemerkten, daß es auf seinem Rücken eine große Anzahl anderer Tiere beherbergte, die ungefähr die Größe und Gestalt von Menschen hatten. Nur trugen sie keine Kleidung, wie die Menschen tun, sondern waren, ohne Zweifel von Natur, mit einer häßlichen, unbequemen, fast tuchartigen Bedeckung versehen, die so eng an der Haut anlag, daß sie die bedauernswerten Wesen ganz lächerlich linkisch machte und offenbar sehr belästigte. Ganz auf der Spitze ihres Kopfes befanden sich gewisse viereckig aussehende Kästen, die mir zuerst die Stelle eines Turbans zu vertreten schienen, doch entdeckte ich bald, daß sie außerordentlich schwer und fest waren, und schloß daraus, daß sie wohl ein schlaues Hilfsmittel seien: die Kästen sollten durch ihr großes Gewicht die Köpfe der Tiere sicher und fest auf die Schultern drücken. Um den Hals der Geschöpfe waren schwarze Kragen befestigt (ohne Zweifel Zeichen ihrer Dienstbarkeit), wie wir sie unseren Hunden umhängen, nur waren sie viel weiter und unendlich viel steifer, so daß die armen Opfer unmöglich ihren Kopf bewegen konnten, ohne zugleich den ganzen Körper zu wenden, so waren sie gezwungen, immer ihre Nasen zu betrachten, ein Anblick, der ganz lächerlich, wenn nicht erschreckend stumpfsinnig wirkte.

Als das Ungeheuer die Küste, an der wir standen, fast erreicht hatte, riß es plötzlich eins seiner Augen weit auf und entsandte aus ihm eine schreckliche Feuergarbe, die von einer dichten Rauchwolke und einem Geräusche, das ich nur mit dem Donner vergleichen kann, begleitet war. Als der Rauch sich verzogen hatte, bemerkten wir, daß eins der seltsamen Menschtiere nahe am Kopfe des großen Ungeheures stand, eine Trompete in der Hand, durch die es uns in lauten, barschen, unangenehmen Tönen anredete, die wir vielleicht für die Sprache gehalten hätten, wären sie nicht nur durch die Nase gekommen.

Es war jedoch offenbar, daß man uns tatsächlich hatte anreden wollen; und ich war nur natürlich in großer Verlegenheit, was ich antworten sollte, da ich kein Wort verstanden hatte. In diesem peinlichen Augenblick wandte ich mich an den Lastträger, der vor Schreck fast ohnmächtig geworden, und fragte ihn, was für eine Art Untier dies wohl sein mochte, was es wolle, und was er von den sonderbaren Geschöpfen halte, die auf seinem Rücken herumschwärmten. Der Packträger antwortete mir darauf, so gut er vor Zittern konnte, daß er schon einmal früher von diesem Seeungeheuer gehört habe; daß es ein grausamer Dämon sei, mit Eingeweiden von Schwefel und Feuer, ein Dämon, den der Böse geschaffen habe, um der Menschheit Übles zuzufügen, daß die Wesen auf seinem Rücken Ungeziefer seien, wie man es häufig auf den Rücken von Hunden und Katzen fände, nur ein wenig größer und wilder, und daß dies Ungeziefer seinen Zweck habe, wenn auch einen bösen, denn durch die Pein, die sie dem Untier durch ihr Stechen und Reißen verursachten, werde dies in jenen Wutzustand hineingestachelt, in dem es brülle und Übles tue und so die rachsüchtige, boshafte Absicht des bösen Geistes erfülle.

Dieser Bericht veranlaßte mich, Fersengeld zu geben, und ohne nochmals rückwärts zu schauen, rannte ich in voller Eile ins Land zurück und die Hügel hinauf, während der Packträger fast ebenso schnell hinweglief, jedoch in fast entgegengesetzter Richtung, so daß er bald mit meinen Waren verschwunden war. Er behütete sie wahrscheinlich ausgezeichnet, doch kann ich darüber nichts Bestimmtes sagen, da ich ihn niemals wiedergesehen habe.

Ich wurde jedoch von einem Schwarm des Menschen-Ungeziefers, das in Booten an die Küste gekommen war, so scharf verfolgt, daß es mich bald einholte, an Händen und Füßen fesselte und auf das Ungeheuer schleppte, das sofort wieder auf die See hinausschwamm.

Nun bereute ich bitter, mein trauliches Heim verlassen zu haben, um in einem solchen Abenteuer mein Leben zu verlieren. Doch jedes Bedauern ist nutzlos, und ich beschloß deshalb, mir meine Lage so erträglich wie möglich zu gestalten, und bemühte mich, das Wohlwollen des Menschentieres zu erlangen, dem die Trompete zugehörte und das eine gewisse Autorität über seine Genossen zu besitzen schien. Meine Anstrengungen wurden so rasch von Erfolg gekrönt, daß das Geschöpf mir schon nach wenigen Tagen verschiedene Zeichen seiner Gunst zukommen ließ und sich zum Schluß sogar der Mühe unterzog, mich Bruchstücke dessen zu lehren, was es, eingebildet genug, eine Sprache nannte, so daß ich mich nach einiger Zeit genügend mit ihm unterhalten konnte, und ihm meinen heißen Wunsch auszudrücken, die Welt zu sehen.

›Washisch squashisch squeak, Sindbad, hey diddle diddle grunt unt grumble, hiss, fiss, whiss‹, sagte er eines Tages nach dem Mittagsmahl zu mir – doch erhabenster Kalif, ich bitte tausendmal um Verzeihung: ich hatte ganz vergessen, daß Ihre Majestät mit dem Dialekt der Hahnwieherer (so wurden die Menschtiere, wahrscheinlich wegen ihrer Sprache, die zwischen Pferdewiehern und Hahnenschrei die Mitte hielt, genannt) – ich hatte ganz vergessen, daß Ihre Majestät mit dem Dialekt der Hahnwieherer nicht bekannt sind. Mit Ihrer Erlaubnis gestatte ich mir, die Worte zu übersetzen. Washisch, squashisch usw. heißt: Es freut mich sehr, mein lieber Sindbad, daß Sie sich als einen so ausgezeichneten Burschen herausgestellt haben. Wir sind gerade damit beschäftigt, den Erdball zu umschiffen, und da Sie so begierig sind, die Welt zu sehen, will ich ein übriges tun und Ihnen freie Bewegung auf dem Rücken des Tieres gestatten.«

Als die Lady Scheherazade bis hierher erzählt hatte, legte sich der König, wie der ›Istssoodernicht‹ berichtet, von der linken auf die rechte Seite und sagte: »Ich finde es in der Tat höchst sonderbar, meine liebe Königin, daß Sie dies letzte Abenteuer Sindbads damals übergangen haben. Wissen Sie auch, daß ich es außerordentlich seltsam und unterhaltend finde?«

Als der König sich, dem ›Istssoodernicht‹ zufolge, in dieser Weise ausgesprochen hatte, fuhr die schöne Scheherazade wie folgt in ihrer Erzählung fort: »Und Sindbad erzählte weiter: Ich dankte dem Menschentiere für seine Liebenswürdigkeit und fühlte mich bald ganz zu Hause auf dem Ungeheuer, das mit wunderbarer Eile den Ozean durchschwamm, obgleich die Oberfläche desselben in jenem Teile der Welt durchaus nicht flach ist, sondern rund wie ein Granatapfel, so daß wir sozusagen die ganze Zeit über entweder bergauf oder bergab fuhren.«

»Das ist in der Tat sehr sonderbar«, warf der König ein.

»Nichtsdestoweniger ist es vollkommen wahr«, erwiderte Scheherazade.

»Ich zweifle daran«, meinte der König, »doch fahren Sie nur, bitte, in Ihrer Erzählung fort.«

»Nun wohl denn«, sagte die Königin. »Das Tier, erzählte Sindbad weiter, schwamm, wie ich sagte, bergauf und bergab, bis wir an eine Insel kamen, die mehrere hundert Meilen Umfang hatte und in der Mitte der See aus einer Kolonie kleiner Dinger, die wie Raupen aussahen, erbaut worden war.«

»Hm«, sagte der König,

»Als wir diese Insel wieder verließen, fuhr Sindbad fort (denn Scheherazade, muß man wissen, beachtete den Ausruf von Mißvergnügen seitens ihres Gatten gar nicht) – als wir diese Insel verließen, kamen wir auf andere, deren Wälder aus festem Gestein bestanden, das so hart war, daß unsere bestgehärteten Äxte an ihm zersplitterten.« Eine der bemerkenswertesten Naturseltsamkeiten in Texas ist ein versteinerter Wald in der Nähe des Pasigno-Flusses. Er besteht aus mehreren hundert Bäumen, die in ihrer aufrechten Stellung ganz versteinert sind. Einige noch wachsende Bäume sind zum Teil versteinert. Diese seltsame Tatsache müßte die Naturwissenschaftler veranlassen, die bis jetzt existierende Theorie von der Versteinerung zu modifizieren. Dieser Bericht, den man anfangs für erfunden hielt, ist neuerdings durch die Entdeckung eines zweiten versteinerten Waldes in der Nähe des Chienne-Flusses bestätigt worden. 

Es gibt auf der ganzen Erdoberfläche vom geologischen und malerischen Standpunkt aus wohl keinen bemerkenswerteren Anblick, als den des versteinerten Waldes in der Nähe von Kairo. Der Reisende, der hinter den Toren der Stadt an den Gräbern der Kalifen vorbei nach Süden schreitet, im rechten Winkel gegen die Straße, die durch die Wüste nach Suez führt, kreuzt, wenn er vielleicht zehn Meilen durch ein tiefes, unfruchtbares Tal gewandert ist, eine lange Reihe von Sandhügeln, die eine Zeitlang seinem Weg parallel laufen. Der Anblick, der sich ihm jetzt darbietet, ist über alle Maßen seltsam und trostlos. Viele Meilen erstreckt sich ein Wald niedergeschlagener, versteinerter Baumstümpfe ins Land hinein, die, wenn der Huf des Pferdes sie berührt, wie Eisen klingen. Das Holz ist von dunkelbrauner Farbe und hat seine Form vollständig behalten, die einzelnen Stümpfe sind einen bis fünfzehn Fuß lang, einhalb bis drei Fuß dick, und so weit das Auge reicht, so dicht nebeneinander hingestreut, daß ein ägyptischer Esel nur mit Mühe seinen Weg durch sie hindurchwinden kann. In England oder Schottland würde man den ganzen Wald für einen riesigen ausgetrockneten Sumpf halten, in dem die entwurzelten Bäume faulend in der Sonne lägen.

»Hum«, sagte der König wieder; doch Scheherazade nahm keine Notiz von ihm, sondern erzählte mit Sindbads Worten weiter: »Als wir auch diese Insel verließen, kamen wir in ein Land, in dem sich eine Höhle befand, die dreißig oder vierzig Meilen tief in die Eingeweide der Erde führte und eine größere Anzahl ausgedehnterer und prächtigerer Paläste enthielt, als in ganz Damaskus und Bagdad zusammen zu finden sind. Von den Dächern dieser Paläste hingen Myriaden Edelsteine herab, glänzend wie Diamanten und größer als Menschen, und durch die betürmten Straßen, zwischen Pyramiden und Tempeln hin, strömten ungeheuere Flüsse, die schwarz waren wie Ebenholz und zahllose Fische bargen, die keine Augen hatten.« Die Mammuthöhle in Kentucky 

»Hum!« sagte der König.

»Dann schwammen wir in eine Region des Meeres, in der sich ein hoher Berg erhob, an dessen Seiten Ströme geschmolzenen Metalls herabfluteten, von denen manche zwölf Meilen breit und sechzig Meilen lang waren, während aus einem Schlunde an seiner Spitze eine solch ungeheuere Menge Asche hervorquoll, daß die Sonne am Himmel verdunkelt wurde, und eine Finsternis, die schwärzer war, wie die Mitternacht, sich über die Erde legte, so daß es unmöglich schien, in einer Entfernung von hundertundfünfzig Meilen von dem Berge den weißesten Gegenstand zu erkennen, wie nahe man ihn auch vor die Augen halten mochte.« Während der Eruption des Hekla im Jahre 1766 verursachte die Aschenwolke eine derartige Finsternis, daß die Leute in dem Orte Glaumba, der mehr als fünfzig französische Meilen von dem Vulkane entfernt liegt, nur durch Tasten ihren Weg erkennen konnten. Während des Ausbruches des Vesuv im Jahre 1794 konnte man in dem vier Meilen entfernten Caserta nur mit Fackeln ausgehen. Am 1. Mai 1812 bedeckte eine aus dem Vulkan auf St Vincent heraufgebrochene Schlackenwolke ganz Barbados und verbreitete zur Mittagszeit eine solche Dunkelheit, daß man draußen weder Bäume noch andere Gegenstände mehr erblicken konnte, ja, selbst ein weißes Taschentuch in einer Entfernung von sechs Zoll vom Auge nicht bemerkte. 
Murray, p. 215. Phil. edit. 

»Hum!« sagte der König.

»Hierauf trug uns das Tier in ein Land, in dem alle Dinge umgekehrt zu sein schienen, denn wir sahen hier einen See, auf dessen Boden, mehr als hundert Fuß unter der Oberfläche des Wassers, ein Wald hoher, üppiger Bäume in vollem Blätterschmucke prangte.« Im Jahre 1790 sank in Caracas während eines Erdbebens ein Teil des granitenen Bodens und lief einen See von achthundert Ellen Durchmesser und achtzig bis hundert Fuß Tiefe zurück. Ein Teil eines Waldes sank mit, und die Bäume blieben mehrere Monate lang unter dem Wasser grün. 
Murray, p. 221. 

»Hum, hum!« sagte der König.

»Einige Hundert Meilen weiter gerieten wir in ein Klima, in dessen Atmosphäre Eisen oder Stahl schweben blieb, wie Federn in der unsrigen.« Jeder, auch der härteste Stahl kann in ein ungreifbares Pulver verwandelt werden, das mit Leichtigkeit in unserer Atmosphäre schweben bleibt. 

»Larifari!« sagte der König.

»Als wir in derselben Richtung weiterschwammen, gelangten wir in die prächtigste Gegend der ganzen Welt. Durch dieselbe schlängelte sich viele tausend Meilen weit ein glänzender Fluß. Er war unermeßlich tief und schimmerte durchsichtiger wie Bernstein. Seine Breite betrug zwischen drei und sechs Meilen und seine Ufer, die sich an jeder Seite zwölfhundert Fuß steil erhoben, waren mit immerblühenden Bäumen gekrönt und mit Blumen übersät, die ewig dufteten und das ganze Gebiet in einen strahlenden Garten verwandelten. Doch der Name des prachtvollen Landes war: Das Königreich des Schrecken, und der Tod ereilte unerbittlich jeden Eindringling.« Das Gebiet am Niger. Siehe Simmonds »Colonial Magazine«. 

»Nanu!« sagte der König.

»Wir verließen dieses Reich in großer Hast und gelangten nach ein paar Tagen in ein anderes, in welchem wir mit Erstaunen Myriaden ungeheuerlicher Tiere bemerkten, die sensenähnliche Hörner auf dem Kopfe trugen. Diese scheußlichen Tiere graben sich selbst riesige Höhlen in Trichterform und vermauern ihre Wände mit Felsstücken, die so aufeinander aufgetürmt sind, daß sie augenblicklich zusammenfallen müssen, sobald ein anderes Tier auf sie tritt. Das Opfer stürzt dann in die Höhle des Ungeheuers, das ihm sogleich das Blut aussaugt und sein Gerippe dann mit Verachtung weit aus der ›Höhle des Todes‹ hinausschleudert.« Das Myrmecoleon – die Löwenameise. Das Adjektiv »ungeheuerlich kann man ebensowohl von kleinen abnormen Dingen wie auch von großen brauchen. Die Höhle des Myrmecoleon ist riesig im Vergleich zu der Höhle der gewöhnlichen Ameise und ein Kieselkörnchen ist dennoch ein Felsblock für sie. 

»Ach nein!« sagte der König.

»Auf unseren weiteren Reisen kamen wir in ein Gebiet, in dem es einen Überfluß an Pflanzen gab, die nicht im Boden, sondern in der Luft wuchsen. Das Epidendron Flos Aeris aus der Familie der Orchideae hängt nur mit der Oberfläche seiner Wurzeln an einem Baume oder anderen Gegenstande fest und zieht seine Nahrung einzig und allein aus der Luft. Dann erblickten wir andere, die aus der Substanz anderer Pflanzen entstanden, Die Parasiten, zum Beispiel die wunderbare Rafflesia Arnaldii. wieder andere, die ihre Nahrung aus den Körpern lebender Tiere zogen, Einige Fuci und Algen gehören zu dieser Klasse. noch andere, die über und über im Feuer glühten, In Minen und natürlichen Höhlen findet man eine Art Schwamm, von dem ein starker Phosphorglanz ausgeht. andere, die sich nach Belieben von Ort zu Ort fortbewegten. Die Orchis, Skabiose und Vallisneria. Doch als das Wunderbarste von allem entdeckten wir Blumen, die atmeten und lebten, ihre Glieder nach ihrem Willen bewegten und außerdem die verabscheuenswerte Leidenschaft der Menschenkinder hatten, andere Geschöpfe zu ihren Sklaven zu machen, in schreckliche, einsame Gefängnisse einzukerkern, da mit sie ihnen Frondienst verrichten.« Die röhrenförmige Coralla dieser Blume (Aristolochia Clematitis) ist an ihrem unteren Ende kugelförmig aufgeblasen. Der röhrenförmige Teil ist im Innern mit steifen, nach unten stehenden Haaren besetzt. Der kugelförmige Teil enthält das Pistill, das nur aus dem genarbten Stempel besteht, und die Staubfäden. Da die Staubfäden jedoch niedriger sind als die Stempel, können sie ihren Samen nicht auf die Narbe des Stempels fallen lassen, da die Blume, solange dies nicht geschehen, stets aufrecht steht. Der Same würde also ohne Hilfe von außen auf den Boden der Blume fallen. Die Natur hilft sich in diesem Falle mittels der Tiputa Penicornis, eines kleinen Insekts, das auf der Suche nach Honig auf den Boden dieser Blume hinabsteigt und dort umherstöbert, bis es mit Blumenstaub über und über bedeckt ist. Da es jedoch wegen der Stellung der Haare in der Röhre, die wie Drähte einer Mausefalle zusammenlaufen, den Ausweg nicht wieder gewinnen kann, wird es ungeduldig, läuft vorwärts und rückwärts, versucht, an jeder Ecke zu entkommen; so daß es wiederholt über die Narbe läuft und dieselbe mit zur Fruchtbildung genügendem Staub bedeckt. Infolgedessen beginnt die Blume bald zu verblühen, die Haare in der Blüte schrumpfen ein und gestatten dem gefangenen Insekte freien Durchgang. 
Rev. F. Keith »System of Pysiological Botany« 

»Puh!« sagte der König.

»Als wir dieses Land verlassen hatten, kamen wir bald in ein anderes, in dem die Bienen und Vögel solch geniale, gelehrte Mathematiker sind, daß sie den weisen Männern des Königsreichs täglich Unterricht in der Wissenschaft der Mathematik geben. Als der König einmal einen Preis auf die Lösung zweier schwieriger Probleme ausschrieb, gewannen diese Tiere ihn sofort. Doch der König hielt ihre Lösungen geheim, und erst nach angestrengtem Nachdenken und tiefen Studien, und nachdem sie während langer Jahre dicke Bücher über die Aufgaben geschrieben, fanden die Menschenmathematiker jene Lösungen, welche die Bienen und die Vögel sofort gegeben hatten.« Die Bienen haben, solange es überhaupt Bienen gibt, ihre Zellen immer in der Anzahl und mit den Wänden und den Neigungen aufgeführt, die (wie es sich durch eine der tiefsten mathematischen Berechnungen herausgestellt hat) ihnen den größtmöglichen Platz und ihrem Gebäude die größtmögliche Sicherheit gewähren. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erhob sich die Frage unter den Mathematikern, die beste Form für die Flügel einer Windmühle zu erfinden. Nachdem man tausend vergebliche Vorschläge gemacht hatte, kam man endlich zu einer vollkommenen Lösung und fand, daß die Flügel der Vögel, solange Vögel fliegen, das vollendetste Modell für ihre Aufgabe gewesen wären. 

»Ach wo!« sagte der König.

»Wir hatten dies Reich kaum aus den Augen verloren, so gerieten wir in ein anderes, in dem ein Zug von Vögeln über unseren Häuptern dahinschoß, der eine Meile breit und zweihundertundvierzig Meilen lang war, so daß die Tiere, obwohl sie eine Meile in jeder Minute zurücklegten, vier Stunden brauchten, ehe sie an uns vorübergerauscht waren – diese Millionen, Millionen Vögel.« Zwischen Frankfort und dem Gebiet von Indiana bemerkte man einen Zug Tauben, der wenigstens eine Meile breit war. Vier Stunden lang dauerte sein Vorüberziehen; rechnet man die Fluggeschwindigkeit auf eine Meile in der Stunde, so war der Zug 240 Meilen lang. Nimmt man an, daß drei Tauben eine Quadratmeile einnahmen, so bestand der Zug aus zweitausendzweihundertdreißig Millionen zweihundertzweiundsiebzigtausend Tauben. 
»Reisen in Canada und Vereinigten Staaten« von Lieut. F. Hall. 

»Herrjemine!« sagte der König.

»Kaum hatten uns diese Vögel, die uns ziemlich belästigten, verlassen, da erschreckte uns der Anblick einer anderen Art von Federvieh, das viel größer war, als selbst der Vogel Rock, den ich auf meinen früheren Reisen gesehen; denn dies Tier war dicker, als die dickste Kuppel auf deinem Serail, o großmächtigster aller Kalifen. Es hatte, soweit wir sehen konnten, keinen Kopf, sondern bestand bloß aus seinem Bauche, der aus einer weich aussehenden Substanz gemacht schien, glänzend, gestreift und sonderbar fett und rund war. In seinen Fängen hielt es ein ganzes Haus, dessen Dach es zerstört, um es zu seinem Horste zu schleppen. In diesem Hause bemerkte ich deutlich menschliche Wesen, die ohne Zweifel ihrem gräßlichen Schicksale mit furchtbarer Todesangst entgegensahen. Wir schrien aus Leibeskräften, in der Hoffnung, das Tier so zu erschrecken, daß es seine Beute fahren ließ, doch gab es nur ein Schnaufen von sich, als sei es in höchster Wut, und warf dann einen schweren Sack auf unsere Köpfe herab, der sich als mit Sand gefüllt herausstellte.«

»Dummes Zeug!« sagte der König.

»Kurz nach diesem Abenteuer erreichten wir ein neues Festland von ungeheuerer Ausdehnung und festgegründetem Boden, das dennoch nur auf dem Rücken einer himmelblauen Kuh ruhte, die nicht weniger als vierhundert Hörner hatte.« Die Erde wird von einer Kuh getragen, die von blauer Farbe ist und vierhundert Hörner hat. 
Sale's Koran. 

»Das will ich eher glauben«, sagte der König, »weil ich so etwas früher schon einmal in einem Buche gelesen habe.«

»Wir eilten schnell unter diesem Kontinent hindurch, indem wir zwischen den Beinen der Kuh hinschwammen, und befanden uns nach einigen Stunden in einem wundervollen Lande, welches, wie mir das Menschtier mitteilte, seine Heimat war und von seinesgleichen bewohnt wurde. Dies erhöhte meine Achtung für das Menschtier ganz bedeutend, und ich schämte mich etwas über die herablassende Vertraulichkeit, mit der ich es behandelt hatte; denn ich fand, daß die Menschtiere im allgemeinen eine Nation der mächtigsten Zauberer sind, die Würmer in ihrem Gehirne Man hat in der Gehirn- und Muskelsubstanz des Menschen bekanntlich die Entozoa beobachtet. beherbergen, deren schmerzvolles Beißen und Nagen ihre Phantasie zu den wunderbarsten Anstrengungen antreibt.«

»Unsinn!« sagte der König.

»Mitten unter den Zauberern lebten Tiere ganz besonderer Art; ich sah zum Beispiel ein riesiges Pferd, dessen Knochen Eisen und dessen Blut kochendes Wasser war. Statt Korn fraß es schwarze Steine, und trotz dieser schlechten Nahrung war es so stark und geschwind, daß es eine Last, die schwerer war als der größte Tempel in dieser Stadt, mit einer Eile fortschleppte, welche die des Vogelfluges noch übertraf.« Die große West-Eisenbahn zwischen London und Exeter hat eine Schnelligkeit von 71 Meilen in der Stunde erreicht. 

»Gewäsch!« sagte der König.

»Ein Angehöriger dieser Nation mächtiger Zauberer erschuf einen Mann aus Erz, Holz und Leder und begabte ihn mit solcher Geisteskraft, daß er alle Menschen, nur den großen Harun Alraschid nicht, im Schachspiel geschlagen hätte. Maelzels Automatischer Schachspieler. Ein anderer dieser Zauberer erbaute aus den gleichen Stoffen ein Geschöpf, das selbst den Geist seines Schöpfers besiegte. Denn so groß war seine logische Kraft, daß es in einer Sekunde Berechnungen machte, zu welchen fünfzigtausend sterbliche Menschen ihre Kräfte ein ganzes Jahr lang hätten vereinigen müssen. Babbages Berechnungsmaschine. Doch ein noch mächtigerer Zauberer erbaute sich ein Ding, das weder Mensch noch Tier war. Sein Gehirn war Blei und eine schwarze, pechähnliche Masse; seine Finger gebrauchte es mit solch unglaublicher Eile und Geschwindigkeit, daß es in einer Stunde ohne Mühe zwanzigtausend Abschriften des Koran hätte machen können, und zwar mit solch peinlicher Genauigkeit, daß alle die Kopien nicht um eines Haares Breite voneinander abwichen. Das Ding war von wunderbarer Stärke, so daß es Kaiserreiche mit einem Atemzuge aufbaute oder zerstörte, doch gebrauchte es seine Kraft gleicherweise zum Guten sowohl wie zum Bösen.«

»Lächerlich!« sagte der König.

»Unter dieser Nation von Zauberern war einer, der eine so rasche Aufnahmefähigkeit hatte, daß er ausrechnete, daß ein gewisser elastischer Körper neunhunderttausendmal in der Sekunde hin und her schwang.« Newton beweist, daß die Netzhaut unter dem Einfluß der violetten Strahlen des Spektrums 900000mal in der Sekunde schwingt. 

»Absurd!« sagte der König.

»Ein anderer jener Zauberer konnte durch ein Fluidum, das noch nie jemand sah, die Arme seiner Freunde oder ihre Beine nach seinem Willen bewegen und tanzen lassen. Die Voltaische Säule. Ein anderer konnte seine Stimme so laut erheben, daß man ihn von einem Ende der Welt zum anderen verstehen konnte. Der elektrische Telegraph vermittelt die Verständigung augenblicklich, wenigstens bei irdischen Entfernungen. Ein anderer hatte einen so langen Arm, daß er sich hätte in Damaskus niedersetzen können und dennoch in Bagdad oder sonst einem fernen Orte einen Brief schreiben. Der elektro-telegraphische Druckapparat. Ein anderer befahl dem Blitz, aus dem Himmel, zu ihm zu kommen, und machte sich ein Spielzeug aus ihm, als er gekommen. Ein anderer machte aus zwei lauten Tönen ein Stillschweigen, aus zwei hellen Lichtern eine tiefe Finsternis. Einer machte Eis in einem glühend heißen Ofen. Einer befahl der Sonne, sein Bild zu zeichnen, und sie tat es. In der Naturwissenschaft bekannte Experimente. Überhaupt hat die ganze Nation solch zauberhafte Fähigkeiten, daß selbst ihre unmündigen Kinder, ihre Katzen und Hunde mühelos Dinge sehen, die gar nicht existieren oder zwanzig Millionen Jahre vor der Entstehung ihrer Erde existiert haben. Da das Licht der Sterne viele Jahre braucht, ehe es auf die Erde gelangt, ist es nicht undenkbar, ja nicht einmal unwahrscheinlich, daß wir das Licht mancher Himmelskörper noch sehen, wenn diese längst zerstört sind. 

»Albern!« sagte der König.

»Die Frauen jener unvergleichlich großen, weisen Magier«, fuhr Scheherazade, unbehelligt von den vielen ungalanten Unterbrechungen ihres Gatten fort, »sind das Vollkommenste und Klügste, was man sich denken kann, und sie wären auch das Schönste und Interessanteste, wenn sie nicht von einer verhängnisvollen Idee, von der weder die Gewalt ihrer Väter noch das Wort ihrer Gatten sie befreien kann, besessen wären. Das Verhängnis kommt bald in dieser, bald in jener Gestalt; in meinem Falle kommt es in der Gestalt einer Grille.«

»In der Gestalt einer – was?« fragte der König.

»Einer Laune!« sagte Scheherazade. »Einer der bösen Geister, die auf Erden nie schlafen, hat es diesen vollkommenen, klugen Damen in den Kopf gesetzt, daß das Ding, welches wir persönliche Schönheit nennen, in einem Höcker in jener Region besteht, die nicht weit unter dem Rücken liegt. Schönheit und Lieblichkeit, sagen sie, steht in direktem Verhältnis zu der Größe dieses Buckels. Da diese Idee sich unausrottbar bei ihnen festgesetzt hat und Polster in jenem Lande sehr billig sind, so sind auch die Tage lange dahin, in denen es möglich war, eine Frau von einem Dromedar zu unterscheiden.«

»Hör auf!« sagte der König. »Da kann ich nicht mehr mit und will auch nicht. Ich habe sowieso schon die gräßlichsten Kopfschmerzen von all den Lügen. Es wird eben Tag, wie ich bemerke. Wie lange sind wir nun verheiratet – mein Gewissen beunruhigt mich übrigens schon mächtig. Und dann das mit dem Dromedar – du hältst mich wohl für einen Narren? – Im großen ganzen finde ich, daß du aufstehen könntest, um erdrosselt zu werden.«

Wie ich aus dem ›Istssoodernicht‹ entnommen habe, war Scheherazade über diese Worte sowohl betrübt wie überrascht; doch da sie wußte, daß der König ein Mann von skrupelloser Rechtschaffenheit war und sein Wort wohl kaum zurücknehmen würde, so ergab sie sich mit Grazie in ihr Schicksal. Als man ihr die Schlinge umlegte, dachte sie mit großer Genugtuung daran, daß die Geschichte noch lange nicht zu Ende sei und daß die rauhe Heftigkeit ihres Gatten sich selbst strafe, weil sie ihm das Anhören noch vieler unbegreiflicher Abenteuer unmöglich gemacht habe.

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