NEUNTES BILD • IN PARIS

Der Schauplatz verwandelt sich zum Greve-Platz in Paris. Der Erker ist ein Gerüst mit der Guillotine, neben der Luzifer als Henker steht. Adam als Danton spricht vom Rande des Gerüstes zu der brausenden Volksmenge. Eine zerlumpte Rekrutenabteilung erscheint unter Trommelwirbel und schart sich um das Gerüst. Heller Tag.

ADAM fortsetzend.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!

VOLKSMENGE
Tod jedem, ders nicht anerkennt!

ADAM
Das sag ich auch. Gefahrumdroht
Ist die Idee. Zwei Worte können
Sie retten. Sagen wir den Guten:
„Das Vaterland ist in Gefahr”,
Und sie erwachen. Donnern wir
Das andre den Verrätern zu:
„Zittert”, und sie sind vertilgt.
Aufstanden gegen uns die Fürsten:
Wir warfen ihnen hin des Königs
Kopf. Die Pfaffen standen auf:
Und wir entrissen ihrer Hand
Den Blitz und setzten die Vernunft,
Die lang verfolgte, auf den Thron.
An den Grenzen kämpfen elf Armeen
Und endlos drängt sich tapfre Jugend,
Der Toten Plätze auszufüllen.
Wer wagt zu sagen: blutiges Rasen
Lichte unsres Volkes Reihen?
Wo Erz kocht, fällt heraus die Schlacke,
Der edle Teil bleibt rein zurück.
Und sind wir auch vom Blut berauscht
Und hält man uns für Ungeheuer:
Nur das Land sei groß und frei!

REKRUTEN
Gebt Waffen uns und einen Führer!

ADAM
Brav! So ists recht! Ihr wollt nur Waffen
Und leidet doch an vielem Mangel:
Zerfetzt die Kleider, nackt die Füße.
Das Bajonett erkämpft euch alles.
Denn siegen werdet ihr. Das Volk
Ist unbesiegbar.
Jetzt floß das Blut des Generals,
Der an der Spitze unsrer Truppen
Sich schlagen ließ.

VOLKSMENGE
O der Verräter!

ADAM
Sehr richtig! Welchen andren Schatz
Besitzt das Volk, als Blut, das es
Dem Vaterland so edel opfert?
Wer Herr ist dieses heiligen Schatzes
Und nicht die Welt erobert, ist
Verräter.
Aus der Rekrutenschar tritt ein Offizier hervor.

OFFIZIER
Stell an seinen Platz
Mich, Bürger, und die Schande tilg ich.

ADAM
Mein Freund, dein Selbstvertraun ist löblich.
Doch bringe die Gewähr, daß du
Dein Wort auch hältst, erst aus der Schlacht.

OFFIZIER
In meiner Brust wohnt die Gewähr.
Und sieh, auch ich hab einen Kopf,
Wertvoller als der hier gefallne.

ADAM
Wer bürgt mir, daß du ihn mir bringst,
Wenn ich ihn will?

OFFIZIER
Ich bin der Bürge,
Weil ich mich nicht ums Leben schere.

ADAM
So denkt doch Jugend nicht.

OFFIZIER
Ich fordre
Dich, Bürger, auf zum letztenmal.

ADAM
Geduld, das Ziel entgeht dir kaum.

OFFIZIER
Ich seh, du traust mir, Bürger, nimmer:
So lerne besser von mir denken.
Er erschießt sich.

ADAM
Wie schad um ihn. Er hätt die Kugel
Vom Feind verdient. So tragt ihn fort.
Auf Wiedersehen, nach dem Siege!
Die Rekruten marschieren ab.
O könnt ich euer Schicksal teilen!
Doch mein ist nur der Kampf, kein Ruhm,
Kein Feind, durch den zu fallen glorreich,
Nur einer, der im Hinterhalt
Das Vaterland und mich belauert.

VOLKSMENGE
Zeig ihn uns, damit er sterbe!

ADAM
Kann ich ihn zeigen, ist er schon des Todes.

VOLKSMENGE
Und die Verdächtigen? Wer es ist,
Der ist auch schuldig, weil das Volk,
Der unfehlbare Seher, ihn gezeichnet.
Tod, Tod, Tod den Aristokraten!
Auf, auf, auf in die Kerkerhöhlen!
Heilig ist des Volkes Urteil.
Das Volk bricht auf, um in die Kerker zu ziehn.

ADAM
Nicht dort ist die Gefahr, die Riegel halten!
Die Moderluft, die Hirn und Muskeln
Zerfetzt, sie steht mit euch im Bunde.
Laßt sie! Im Konvent lacht der Verrat
Mit stolzem Haupt und wetzt den Dolch.

VOLKSMENGE
Auf zum Konvent! Durchsieben wir
Ihn noch einmal! - Erst später zum Konvent!
Zuerst als Übung in die Kerker!
Schreib, Danton, die Verräternamen
Uns unterdessen auf.
Die Volksmenge drohend ab. Unterdes schleppen einige Sansculotten einen jungen Marquis und Eva als seine Schwester vor das Gerüst.

EIN SANSCULOTTE
Wir bringen
Hier wieder zwei Aristokraten!
Der Miene Stolz, die feinen Kleider
Beweisen deutlich ihre Schuld!

ADAM
Welch edles Paar! Kommt, junge Leute!

DER SANSCULOTTE
Wir folgen den Genossen, wo uns Arbeit
Erwartet, die Verräter Tod!
Die Sansculotten gehen mit dem anderen Volk ab, das junge Paar steigt auf das Gerüst, das nur von einigen Wachen umgeben ist.

ADAM
Ich weiß nicht, was zu euch mich zieht,
Ich rette euch mit eigener Gefahr.

DER MARQUIS
Nein, Danton. Wenn wir schuldig sind,
Dann ists Verrat, sprichst du uns frei.
Wenn nicht, verschmähn wir deine Gnade!

ADAM
Wer führt mit Danton diese Sprache?

DER MARQUIS
Ich bin Marquis.

ADAM
Halt! weißt du nicht?
Der Titel „Bürger” ist der einzige.

DER MARQUIS
Hat denn mein König abgeschafft
Die Titel?

ADAM
Sehweig, Unseliger!
Tritt ein ins Heer, die Bahn ist offen.

DER MARQUIS
Mir hat mein König nicht erlaubt,
In fremden Heeren Dienst zu tun.

ADAM
So wirst du sterben.

DER MARQUIS
Einer mehr
Von uns, der für den König stirbt.

ADAM
Was stürmst so kühn du in den Tod?

DER MARQUIS
Du glaubst, dies edle Recht gebührt
Nur euch, den Männern aus dem Volk?

ADAM
Du trotzest? Gut, so trotz ich auch!
Wer wird der Stärkre sein? Ich rette
Dich dir zum Trotz. Für diese Tat
Wird eine stillere Zeit mir danken,
Wenn einst Parteienhaß verglüht.
Ihr Garden! in mein Haus mit ihm!
Ihr bürgt mir für sein Leben.
Einige bewaffnete Nationalgardisten führen den Marquis ab.

EVA
Sei, Bruder, stark!

DER MARQUIS
Schwester, leb wohl!
Ab.

EVA
Auch hier ein Kopf, nicht schlechter als
Frau Rolands.

ADAM
Von so zarten Lippen
Dies harte Wort!

EVA
Es passen nicht
Zum Blutgerüst die zarten Reden.

ADAM
Dies Schreckgerüst ist meine Welt.
Mit dir kam ein Stück Himmelreich
Und schließt mich ein in seine Weihe.

EVA
Kein Priester höhnt sein Opfertier.

ADAM
Das Opfer, glaub mir, bin ich selbst.
Beneidet man auch meine Macht,
Doch freudlos, gleich verachtend Tod
Und Leben, seh ich meinen Thron,
Seh täglich viele Köpfe fallen
Und warte, bis an mir die Reih.
Vom Blut umrauscht, o welche Qual
Der Einsamkeit, des dunklen Ahnens,
Wie süß, wie gut es wär zu lieben…
O Weib, o lehr mich diesen Himmel
Nur einen Tag, am zweiten leg ich
Ruhig unters Beil das Haupt.

EVA
Liebe in der Welt des Grauens?
Und schrickt dich das Gewissen nicht?

ADAM
Gewissen braucht die Alltagswelt.
Wer vom Verhängnis wird geschoben,
Hat keine Zeit, sich umzusehn.
Hat je ein Sturm die wilde Wut
Gehemmt vor einer zarten Rose?
Und wer erkühnte sich, zu richten
Den Führer? Hat den Faden jemand
Gesehen, der auf ihrer Bühne
Catilina, Brutus lenkt?
Glaubt man vielleicht, wer Ruhm genossen,
Hat aufgehört, ein Mensch zu sein
Und wär ein Überirdischer
Geworden, hoch erhaben über
Den tausend kleinen Alltagssorgen?
Ach, glaub es nicht. Auch auf dem Throne
Schlägt ein Herz und Cäsars Liebste,
Wenns eine gab, hat ihn vielleicht
Als guten Jungen nur gekannt
Und nicht geahnt, daß vor ihm Welten zittern.
Bist du kein Weib und ich kein Mann?
Man sagt, das Herz liebt oder haßt,
So wie mans mitbringt auf die Welt.
Ich fühl mein Herz mit dir verwandt,
Und Weib, du hörst die Stimme nicht?

EVA
Was nützte es? Dich führt ein andrer
Gott, als ich im Herzen trage.
Wir können niemals uns verstehn.

ADAM
Laß also fallen alte Ideale!
Was opferst du verbannten Göttern?
Dem Weibe ziemt nur ein Altar,
Der ewig jung erstrahlt: das Herz.

EVA
Auch der verlassene Altar
Kennt Märtyrer. O edler ists,
Ruinen treu zu ehren als
Zu grüßen neu erstandne Macht;
Und diese Sendung ziemt dem Weibe.

ADAM
Kein Mensch hat mich noch weich gesehn!
Und sähe man, ob Feind, ob Freund,
Wie ich, den das Geschick gepeitscht,
Die Welt zu fegen wie ein Sturm,
Hier nassen Augs auf dem Schafott
Um eines Mädchens Liebe fleh:
Er sagte Dantons Sturz voraus
Und keiner hätte Angst vor mir.
Und dennoch fleh ich um ein Fünkchen Hoffnung!

EVA
Wenn jenseits dein versöhnter Geist
Abstreift den blutigen Staub der Zeit:
Vielleicht.

ADAM
Halt ein, o sprich nicht weiter!
Ich glaub an dieses Jenseits nicht,
Bekämpfe hoffnungslos mein Schicksal.
Die Volksmenge kehrt mit blutigen Waffen, einige blutige Köpfe auf Lanzen aufgespießt mit sich schleppend, wieder zurück. Einige stürmen auf das Gerüst.

VOLKSMENGE
Sie sind gerichtet. - Stolze Rasse!

EIN SANSCULOTTE gibt Adam einen Ring.
Den Ring hier für das Vaterland!
Ein Schuft hat ihn mir aufgedrängt,
Als ich vor ihm das Messer zückte.
Das Pack meint gar, wir wären Räuber.
Du lebst noch? Folge deiner Sippe!
Er sticht Eva nieder, die hinter das Gerüst fällt.

ADAM bedeckt die Augen.
Vorüber, ach! Wer beugt dich, Schicksal?

VOLKSMENGE
Jetzt zum Konvent! Auf, Bürger, führ uns!
Ist die Verräterliste fertig?
Das Volk räumt das Gerüst. Eva, als zerlumptes, auf geregtes Weib aus dem Volke, bricht aus der Menge hervor, in einer Hand einen Dolch, in der anderen einen blutigen Kopf, und stürmt zu Danton hin.

EVA
Danton! er wollte dich ermorden
Und darum mordete ich ihn.

ADAM
Hätt meinen Platz er besser ausgefüllt,
War schlecht die Tat; wenn nicht: dann gut.

EVA
Die Tat war gut, ich will den Lohn!
Du Großer, lieb mich eine Nacht!

ADAM
Wohnt Neigung selbst in solcher Brust?
Fühlt zärtlich auch die Tigerin?

EVA
Es scheint ja, Bürger, du bist auch schon
Ein Edelmann mit blauem Blut!
Sprichst du im Fieber so romantisch?
Du bist ein Mann, ich Weib und jung:
Sei mein, denn ich bewundre dich.

ADAM beiseite.
Mir graut, ich wende ab die Augen.
Mich schlägt ein furchtbar Gaukelspiel.
Welch wunderbare Ähnlichkeit!
Wer einen Engel sah gestürzt,
Der fühlte dies. Die Züge sind es,
Der Wuchs, die Stimme, alles, nur
Ein kleines unfaßbares Nichts,
Das fehlt. Und wie ist anders doch
Das Ganze. Jene war nicht mein,
Die Glorie schützte sie. Und diese
Verekelt mir der Höllendampf.

EVA
Was murmelst du?

ADAM
Ich rechne, Weib,
Ich hab so viele Nächte nicht,
Als unser Vaterland Verräter!

VOLKSMENGE
Auf zum Konvent! Du nenne sie!
Unterdes kommen Robespierre, Saint-Just und andere Konventmitglieder mit einer zweiten Volksmenge und stellen sich auf eine improvisierte Tribüne.

SAINT-JUST
Er soll sie nennen? Er, ihr Haupt?
Das Volk murrt.

ADAM
Saint-Just, du wagst, mich anzuklagen?
Weißt du, wie stark ich bin?

SAINT-JUST
Du warst es
Im Volke einst. Doch dieses Volk
Ist weise, hat dich längst erkannt
Und heiligt den Konventbeschluß.

ADAM
Ich kenne keinen Richter als
Das Volk, und dieses ist mein Freund.
Wieder Murren im Volk.

SAINT-JUST
Dein Freund ist, wer des Landes Feind.
Dich richte das erhabne Volk.
Danton, vor ihm hör deine Schuld:
Die Unterschlagung Landesguts,
Aristokratensympathie,
Streben nach Tyrannenmacht.

ADAM
Gib acht, mein Wort zerschmettert dich!
Saint-Just, du lügst!

ROBESPIERRE
Hört ihn nicht an!
Die Zunge ist ihm schlangenglatt!
Greift ihn im Namen unsrer Freiheit!

VOLKSMENGE
Hört ihn nicht an! Tod über ihn!
Sie umringen und ergreifen ihn.

ADAM
So hört mich nicht! Doch soll auch ich
Nicht hören die verruchte Klage.
Mit Worten überzeugtet ihr
Mich nicht. Auch nicht mit dieser Tat.
Robespierre, du kamst mir nur zuvor!
Das ist alles. Sei nicht stolz darauf.
Die Waffen streck ich selbst: es war genug.
Doch höre: in drei Monden sollst
Du folgen mir auf diesem Weg.
Henker, geschickt: ein Riese fällt!
Er neigt sein Haupt unter die Guillotine.

 

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